Im Juni 2022 begab sich das Forschungsprojekt „KoopWohl“ auf Exkursion nach Barcelona. Mit dabei waren neben dem wissenschaftlichen Team auch die Praxispartner*innen aus Verwaltung und Zivilgesellschaft der drei Themenfelder Wohnen, Migration/Gesundheit und Ernährung. Ziel der Exkursion war es Inspiration für politische Aushandlungsprozesse und Lösungsansätze in Deutschland zu schaffen und Wissenstransfer zwischen Akteur*innen aus der Praxis zu vermitteln.
Im Juni 2022 begab sich das Forschungsprojekt „KoopWohl“ auf Exkursion nach Barcelona. Mit dabei waren neben dem wissenschaftlichen Team auch die Praxispartner*innen aus Verwaltung und Zivilgesellschaft der drei Themenfelder Wohnen, Migration/Gesundheit und Ernährung. Ziel der Exkursion war es Inspiration für politische Aushandlungsprozesse und Lösungsansätze in Deutschland zu schaffen und Wissenstransfer zwischen Akteur*innen aus der Praxis zu vermitteln.
Gesundheit
Im Themenfeld Gesundheit haben wir einen Einblick in Aktivitäten staatlicher- und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen bekommen, die darauf abzielen Gesundheitsversorgung möglichst allen Personengruppen zugänglich zu machen. Wir erfuhren vom Kampf um eine universelle Gesundheitsversorgung, die mit der Austeritätspolitik 2012-2018 temporär ausgesetzt wurde und dadurch viele Ausschlüsse hervorbrachte. Auch nach der Wiederherstellung der universellen Gesundheitsversorgung 2018 bleiben trotz des de jure Wiedereinschluss ‚aller‘ auch hier Zugangsbarrieren, die von verschiedenen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteur*innen mit verschiedenen Mitteln abgebaut werden.
Wir trafen uns in Barcelona mit verschiedenen Akteuri*nnen, wie Salut i Familia, Netzwerk PASUCat (Plataforma per una Atenció Sanitària Universal a Catalunya )und FoCAP (Fòrum Català d’Atenció Primaria), die durch starke Netzwerk- und Lobbyarbeit, durch die Archivierung von Einzelfällen oder medienwirksamer Skandalisierung von Fällen in denen Menschen unversorgt bleiben, für (Wieder )einschlüsse kämpfen.
Ernährung
Innerhalb des Themenfeldes Ernährung haben wir uns insbesondere mit Projekten aus den Bereichen Produktion und Distribution von Nahrungsmitteln beschäftigt. In diesem Zusammenhang besuchten wir den ca. fünf Kilometer südlich von Barcelona gelegenen Landwirtschaftspark Baix Llobregat. Er wird in einem Konsortium bestehend aus verschiedenen Akteur*innen aus Verwaltung, Landwirtschaftsvertretung und Zivilgesellschaft verwaltet und bietet Platz für ca. 621 Höfe für ca. 1.200 Bäuer*innen. Um regionale Produkte besser zu vermarkten, hat das Konsortium ein eigenes Label entworfen, „Producto FRESCO del Parque Agrario“ – „Frische Produkte des Landswirtschaftsparks“ unter welchem bereits 180 Landwirt*innen ihr Obst und Gemüse vertreiben.
Ein weiteres Projekt das wir kennengelernt haben ist Terra Pagesa, ein Projekt in dem die Stadtverwaltung Barcelonas und die Bäuer*innengewerkschaft Unió de Pagesos zusammenarbeiten. Ziel des Projektes ist die direkte Vermarktung und den Vertrieb von lokalen und regionalen Produkten kleiner und mittelgroßer Landwirt*innen aus Katalonien zu unterstützen und kurze Distributionswege durch eine Reduktion der Anzahl an Zwischenhändler*innen zu schaffen. Zudem fördert das Projekt die Transparenz über die Herkunft der Produkte, indem über eine App Informationen zur Herkunft von Obst und Gemüse eingeholt werden können. Das Projekt soll am Großmarkt Barcelonas, Mercabarna, angesiedelt werden, welchen wir auch besichtigen konnten.
Wohnen
Dem Themenfeld Wohnen haben wir uns anhand des “Dragonerareals Barcelonas” gewidmet, dem Areal Can Batlló, im östlich gelegenen Stadtteil Sants. Im Zuge der Deindustrialisierung durch nachbarschaftliche Kämpfe für Gemeinwohlzwecke erkämpft, und durch eine über Jahre vorbereitete und inszenierte Besetzung im Jahr 2011 herbeigeführte Kommunalisierung des Bodens, ist Can Batlló heute ein Modellprojekt für verschiedene stadtplanerische Themen. Joan Costa gab uns Einsichten in die Vielfalt von Aktivitäten und Gruppen, die Can Batlló ausmachen und erklärte uns die Entscheidungsfindungsprozesse, die Organisationsstruktur sowie die Geschichte des Modellprojektes. Can Batlló wird in öffentlich-zivilgesellschaftlicher Partnerschaft geführt: Eine Nutzungsabtretung garantiert die Selbstverwaltung des Geländes durch die zivilgesellschaftlichen Akteure. Die Sanierungsarbeiten und Versorgungskosten werden von der Stadt übernommen.
Wir erhielten zudem Einblick in die jüngsten Entwicklungen der kommunalen Wohnungspolitik. Auf kommunaler Ebene betätigt sich die Stadt seit einigen Jahren nennenswert im kommunalen Mietwohnungsneubau, bei dem die Miete maximal 9 €/m2 bzw. 30% des Einkommens beträgt. Zudem erfuhren wir vom zivilgesellschaftlich geführten Kampf um einen Mietendeckel auf regionaler Ebene, der jedoch ähnlich wie in Berlin, nach Einführung durch das Verfassungsgericht gekippt wurde.
Von La Dinamo, einer unterstützenden Organisation für Wohngenossenschaften und dem Wohnprojekt Empriu in Can Batlló, erfuhren wir zudem welche Möglichkeiten und Regelungen für genossenschaftliche Wohnprojekte bestehen. Hierbei ging es vor allem um die Anpassung rechtlicher Regelungen, die die Stadt vorgenommen hat, um genossenschaftlichen Wohnungsbau zu erleichtern und zu fördern. Diese wurden in den Bereichen Vergabepolitik, Belegungsbindung und Auswahl der Bewohnenden vorgenommen.
Symposium
Neben den Besuchen der verschiedenen Orte in den drei Themenfeldern, gab es ein kleines Symposium an der University of Barcelona, welches für einen erweiterten Interessent*innenkreis offenstand.
Aus dem Gesundheitsbereich präsentierten der Direktor der Gesundheitsdienste der Stadtverwaltung Barcelona Davide Malmusi, die Beauftragte für Migration und Gender Tona Lizana Alcazo aus dem Katalonischen Gesundheitsministerium, wie sie durch verschiedene Integrations- und Gesundheitspläne und den flächendeckenden Einsatz von interkulturellen Mediator*innen im Gesundheitswesen auf städtischer- respektive regionaler Ebene versuchen, die Zugangsbarrieren zum Gesundheitssystem praktisch wie politisch abzubauen. Ein weiteres Beispiel ist die Vergabe von lokalen Aufenthaltskarten, die Menschen den Zugang zur regulären Gesundheitsversorgung ermöglichten, auch wenn sie keinen festen oder regulären Wohnsitz haben. Carola Wlodarski-Simsek, eine unserer Praxispartnerinnen, stellte anschließend das Modellprojekt Anonymer Krankenschein Thüringen vor.
Im Themenfeld Ernährung berichtete Lisa Haarhoff vom Ernährungsrat Berlin und die Koordinatorin für Bezirkliche Entwicklungspolitik des Bezirkes Friedrichshain-Kreuzberg, Julia Scherer, von ihren Erfahrungen bei der Einrichtung eines LebenMittelPunktes im Rahmen des Projektes. Montse Lligada, von der Bäuer*innengewerkschaft Unió de Pagesos, gab uns einen vertiefenden Einblick in die Kooperation zwischen Unió de Pagesos und der Stadtverwaltung Barcelonas im Terra Pagesa Projekt. Die Kooperation in Bezug auf direkte Vermarktungswege durch Terra Pagesa beschrieb sie als sehr fruchtbar, da sie sich mit den meisten ihrer Forderungen der Gewerkschaft durchsetzen konnten und die Stadtverwaltung großes Interesse hatte, aufgrund ihrer geringen Einflussmöglichkeiten auf kommunaler Ebene das Projekt mit voranzubringen.
Im Bereich Wohnen stellten die Praxispartner*innen Vernetzungstreffen Rathausblock, Sarah Strand und Alexander Matthes für das Stadtplanungsamt im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin den Stand der Aushandlungen im Dragonerareal in Berlin vor. Irene Escorihuela, Direktorin des Observatori DESC gab Einblicke in die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisation in der neuen mietenpolitischen Gesetzgebung. In der Abschlussrunde diskutierten Marc Pradell, Soziologe aus der University of Barcelona und Mitglied des Forschungsverbundes Creativity, Innovation and Urban Transformation; Marco Aparicio, Professor für Verfassungsrecht an der University of Girona und Präsident des Observatori DESC, sowie Lisa Vollmer und Laura Calbet, Leiterinnen des Forschungsprojektes KoopWohl, über Commons und Koproduktionspraktiken.