Am 5. Januar 2021 hat sich das Forschungsteam in einem Workshop zu Methoden der aktivistischen Forschung und Reallaboren mit Dr. Michael Ziehl weitergebildet.
In unserem Forschungsprojekt untersuchen wir Aushandlungsprozesse zwischen städtischen Verwaltungen und Zivilgesellschaft in den drei Politikfeldern Wohnen, Migration/Gesundheit sowie Umwelt/Ernährung anhand je eines Fallbeispiels. In der Tradition der Aktionsforschung stehend, integrieren wir Aspekte partizipativer Forschung in unsere Forschung zu den Fallbeispielen, die wir als Reallabore verstehen. Unser Anspruch ist es, die verhandelnden, am Projekt beteiligten Praxispartner*innen zu unterstützen und zu begleiten. Dafür sind im Forschungsprojekt u. a. Runde Tische vorgesehen, die Raum für inhaltliche Vertiefungen und Reflexionen jenseits des alltäglichen Zeitdrucks der Kooperationsprozesse bieten sollen.
Um diese Doppelrolle als Forscherinnen und Intervenierende zu reflektieren, haben wir uns mit Dr. Michael Ziehl zu einem vertiefenden Workshop getroffen. Michael Ziehl hat selber als Aktivist und Doktorand den Kooperationsprozess um das Hamburger Gängeviertel aus diesen beiden Perspektiven begleitet. Mit ihm haben wir sowohl über seine theoretisch-konzeptionellen Zugänge zum Forschungsdesign sowie über seine praktischen Erfahrungen gesprochen.
Transformationswissen und Aktionsforschung
In der Literatur zu Reallaboren wird zwischen drei Wissensformen unterschieden: Systemwissen, Zielwissen und Transformationswissen. In Transformationsprozessen sollten diese drei Wissensformen nötiges Wissen für die Transformation generieren und organisieren.
„Systemwissen ist Wissen über die aktuelle Entwicklung eines konkreten Stadtraums (…) Dazu zählen die Kompetenzen von Kooperationsakteurinnen, die Verfügbarkeit von Ressourcen, politische und rechtliche Rahmenbedingungen, bestehende Machtverhältnisse, Funktionsweisen von Infrastrukturen, die Gestaltung der gebauten Umwelt, Einflüsse der natürlichen Umwelt etc“ (…) Ziel-/Orientierungswissen ist Wissen darüber, welche Entwicklung ein Stadtraum in Zukunft nehmen soll und welche Anpassungen und Transformationen dafür notwendig sind. Ziel bzw. Orientierungswissen soll Kooperationsakteurinnen von räumlichen Entwicklungen Orientierung geben und bezieht deshalb ihre Raumvorstellungen, Bedeutungszuschreibungen und Identitätskonstruktionen mit ein (…) Transformationswissen ist Wissen über die kooperative Umsetzung von Anpassungen und Transformationen im Stadtraum. Es bezieht Wissen der Beteiligten über die Umsetzbarkeit des Ziel- und Orientierungswissens ein und knüpft an ihre Handlungsrationalitäten, Grundannahmen und Wertvorstellungen an“ (Ziehl S. 60 f.).
Besonders das Transformationswissen, also die Frage wie ein Ziel erreicht werden soll, kommt in Kooperationsprozessen häufig zu kurz. Im Arbeitsalltag der Praktiker*innen in Kooperationsprozessen geht diese Frage leicht unter. Hier kann der Beitrag der intervenierenden Forscherinnen liegen: Das in der Kooperation implizit vorhandene Transformationswissen explizit zu machen und damit die Möglichkeit zu schaffen es zu reflektieren, weiter zu entwickeln und anderen zur Verfügung zu stellen.
Wie weit das Verständnis von Aktionsforschung als partizipativer Forschung reicht, wird in jedem Forschungsprojekt anders definiert und kann bis zum Co-Design reichen, bei dem Forschungsfragen und Realexperimente gemeinsam mit den Praxispartnerinnen entworfen werden. Auch wenn dieser Ansatz aus forschungspragmatischen Gründen nicht immer umsetzbar ist, sollten die wissenschaftlichen Fragestellungen eines aktivistischen Forschungsprojektes für die Praxispartnerinnen relevant und die Ergebnisse für sie von Nutzen sein.
KoopWohl: Zwischen Forschung und Interventionen
In unserem Forschungsprojekt verstehen wir als Realexperimente und damit Interventionen in die Kooperationsprozesse u. a. die Runden Tische. Diese Formate haben stets – wie der Name Realexperiment schon sagt – einen experimentellen Charakter. Unsicherheiten sollten als konstruktiver Beitrag im Forschungsprozess verstanden werden. Ziel der Interventionen sollte sein, einen konstruktiven Beitrag im Kooperationsprozess zu leisten. Wie weit der Einfluss solcher Interventionen reichen und wie sich dieser messen lassen kann, ist schwer einzuschätzen und kann ggf. am Ende des Projekts gemeinsam mit den Praxispartner*innen reflektiert werden.
Während der gesamten Laufzeit stellt für uns die Selbstreflexion ein wesentliches Element qualitativ hochwertiger Sozialforschung da. Die methodischen Unsicherheiten der Aktionsforschung passen auf den ersten Blick nicht zu unserer Sozialisation als Sozialwissenschaftlerinnen, aber könnten im Prozess eine produktive Kraft entfalten – Scheitern inbegriffen. Die Offenheit des Forschungsprozesses erlaubt es mit den verschiedenen Rollen aktiv zu experimentieren: als Forscherinnen, Aktivistinnen, Beraterinnen und Moderatorinnen. Die Rolle zum Beispiel als Beraterinnen können nur Personen einnehmen, die von den Anwesenden als Expertinnen angesehen werden. Hier wie für die Moderation kann es ebenfalls ein Beitrag des Forschungsprojekts zur Kooperation sein, diese Rollen durch externe Expert*innen ausfüllen zu lassen.
Der Workshop mit Michael Ziehl gab uns Gelegenheit diese und andere methodische Herausforderungen unseres Forschungsprojektes zu reflektieren.
Foto: © Laura Calbet i Elias