Expert*innenworkshops für Zivilgesellschaft und Bezirk
Wie kann aktivistische Forschung in der Praxis aussehen, noch dazu in der mehr-denn-je digitalisierten Welt während der Corona-Pandemie? Ein Schlaglicht aus dem Politikfeld Wohnen: Die zivilgesellschaftlichen Initiativen am Rathausblock arbeiten 2021 intensiv an ihren gemeinsamen Forderungen für das Thema Wohnen auf dem Areal. Wie viele Wohnungen und welche Art Wohnungen soll es geben, was bedeutet Bezahlbarkeit, wer soll einziehen oder wie werden Dritte Träger neben der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft WBM berücksichtigt? Das sind nur einige der Knackpunkte, die nicht nur innerhalb der Initiativen, sondern auch zwischen allen der sechs Kooperationspartner*innen verhandelt werden.
Wir vom Forschungsprojekt haben in diese Situation interveniert, indem wir einen Workshop unter Zuhilfenahme sachkundiger, externer Expert*innen vorgeschlagen haben. In einem Fall sollte der externe Blick neue Perspektiven auf einen schwelenden Konflikt zwischen den Initiativen ermöglichen, um eine festgefahrene Situation aufzulösen. Unser Vorschlag wurde von den Initiativen dankend aufgegriffen. Ihre Erfahrungen und ihr Wissen teilten im digitalen Workshop: Larisa Tsvetkova, die in Braunschweig zu gemeinschaftlichen Wohnformen promoviert, und Mona Gennies, die ihre Masterarbeit zu Gemeinwohlorientierung in Konzeptverfahren verfasst hat. Beide sind auch Mitglied im Netzwerk Immovielien und wurden von uns als passende Expert*innen vorgeschlagen. Mit Larisa Tsvetkova konnten die einen Initiativen ihre modellhaften Überlegungen zu gemeinschaftlichen Wohnformen bei einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft diskutieren und Mona Gennies beriet den anderen Teil der Gruppen, die über Konzeptverfahren auf dem Rathausblock-Grundstück gemeinschaftlich bauen wollen.
Im zweiten Fall ging der Wunsch nach demselben Format mit anderem inhaltlichen Schwerpunkt von den Gruppen selber aus und wurde durch das Forschungsprojekt wiederum organisatorisch und moderierend umgesetzt. Die Initiativen, die auf dem Areal gemeinschaftlich bauen und wohnen wollen, suchten Anregungen aus anderen Städten zu Fragen niedrigschwelliger Konzeptverfahren. Hier standen digital Rede und Antwort: Katharina Wagner, Referentin des Planungsdezernenten der Stadt Frankfurt, und Jens Gerhardt vom Netzwerk Leipziger Freiheit. Bei diesem zweiten sogenannten Runden Tisch waren die Rezipient*innen nicht nur die zivilgesellschaftlichen Gruppen, sondern ebenso der anwesende Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der sich ebenfalls einfachere Zugänge für Dritte Träger auf dem Areal und in Berlin insgesamt wünscht. Hier zeigte sich, dass die Ansprüche der Zivilgesellschaft und die Wünsche des Bezirks noch eingehender diskutiert und politisch verhandelt werden müssen als in anderen Städten, die mit ihren Konzeptverfahren zum Teil schon innovative Wege beschreiten.
In beiden Fällen konnten durch aktivistische Forschung zeitliche und finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden, die insbesondere den zivilgesellschaftlichen Gruppen im Kooperationsprozess häufig fehlen. Dass der Impuls für den ersten Workshop dieser Art vom Forschungsteam ausging und nicht von unseren Praxispartner*innen selbst (den Initiativen und dem Bezirk), lesen wir als Zeichen dafür, dass aktivistische Forschung, die bewusst in Prozesse interveniert, noch kein sehr bekanntes oder routiniertes Zusammenwirken zwischen Wissenschaft und Praxis darstellt. So lernen nicht nur wir diese Rolle als aktivistische Forscher*innen in einem hochkomplexen Kooperationsprozess neu kennen, sondern auch für die am Kooperationsprozess Beteiligten ist es ungewohnt, Forschung in dieser Rolle zu verorten.
Welche Form die nächsten Runden Tische annehmen, welchen Themen sie sich widmen und zu welchem Zeitpunkt sie stattfinden werden, bleibt solange offen, bis erneut Bedarfe an uns herangetragen werden oder wir zu einem geeigneten Zeitpunkt das im Forschungsprojekt generierte Wissen anbieten zu teilen. Immer unter dem Verständnis, dass aktivistische Forschung einen Mehrwert für die Beteiligten entwickeln soll. In diesem Sinne verstehen wir die Offenheit der Runden Tische als produktives, wenngleich ungewohntes Spannungsfeld zwischen Aktivismus und Wissenschaft.
Foto L. Tsvetkova: © Larisa Tsvetkova, Foto M. Gennies: © Mona Gennies, Foto Katharina Wagner: © peter-juelich.com, Foto J. Gerhardt: © Jens Gerhardt, Beitragsfoto: © Laura Calbet